Philip Seymour Hoffman †: Der Größte, nicht nur seiner Generation - WELT (2024)

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Wer soll denn jetzt diese Figuren spielen, wegen denen so viele Filme dann doch Seele hatten, etwas zutiefst Menschliches, häufig Abgründiges, still Verzweifeltes, latent Hoffnungsloses? Er konnte das so unfassbar gut, die Momente totaler Wahrhaftigkeit herstellen, in denen sich die menschliche Existenz in der Kunst glaubhaft offenbart, beim Film im Tun, Nichthandeln, Reden, Schweigen, Gucken, Dasein, dort oben auf der Leinwand: Philip Seymour Hoffman ist völlig unersetzlich.

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Und das weit über das Attribut hinaus, das ihm ein bisschen zu lange anhaftete und das im Englischen gar nicht so böse gemeint ist, wie es erst mal klingt: „scene-stealing“ sei er als Schauspieler; im Deutschen gibt es leider keine Entsprechung, die auch das Anerkennende darin klarmachte. Hoffman, der ein paar Jahre und Rollen zu viel als der größte Nebendarsteller Hollywoods galt, war ja eben kein Szenendieb, er hat nie jemandem was weggenommen.

Weniger Talentierten, weniger Ausdrucksfähigen hat er zu Beginn seiner Karriere zu großen Szenen verholfen, Mark Wahlberg etwa in „Boogie Nights“ und Tom Cruise in „Magnolia“, den frühen Filmen von Paul Thomas Anderson. Dem schenkte Hoffman wie anderen Regisseuren zuvor etwa bei „Der Duft der Frauen“ und später bei „Der talentierte Mr. Ripley“ und „Almost Famous“ das Entscheidende: wahre Augenblicke.

Auch im Kleinen war er groß

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Selbst eher Kleine konnte er zu Großen machen, zum Beispiel als Hoffman in der Rolle des legendären Musikkritikers Lester Bangs in „Almost Famous“ einem jungen Kollegen am Telefon erklärt, welche Bewandtnis es habe mit dem Coolsein (der Rockbands) und dem Uncoolsein (der Musikjournalisten). In ihrer nur scheinbaren Trivialität erzählte diese Szene nun plötzlich etwas Grundsätzliches übers menschliche Bedürfnis, dazugehören zu wollen; und wenn es je eine Filmszene gab, die das hehre moralische Prinzip des Journalismus, sich niemals gemeinzumachen mit dem Gegenstand seiner Betrachtung, auf ein eben menschliches Maß brachte, dann diese: Es existiert da eine Grenze zwischen dem Beschriebenen und dem Beschreibenden, und es ist für Letzteren entscheidend, um die Unüberbrückbarkeit dieser Grenze zu wissen und sie zu respektieren.

Philip Seymour Hoffman zu interviewen bedeutete denn auch eine praktische Lektion in diesem Sinne. Man traf einen offenkundig wundervollen Menschen, hochintelligent, herzlich, zugewandt, witzig, der sich dennoch ziemlich beharrlich weigern konnte, über seine Kunst wirklich zu reden. Vielleicht schien es ihm unangemessen, sie erklären zu wollen. Gerade in einer so absurden Gesprächssituation wie derjenigen, auf die sich zeitgenössische Film-PR und zeitgenössischer Star-Journalismus verständigt haben: Zwei Menschen, die sich noch nie zuvor gesehen haben und mutmaßlich nie wiedersehen werden, sperrt man für höchstens eine halbe Stunde in ein Hotelzimmer, und die beiden sollen dann was – sich eine zweckfreie Intimität vorspielen zur Ergründung von so etwas Essenziellem wie im Fall von Hoffman Schauspielkunst als Lebensinhalt? Lächerlich, lächerlich unangemessen halt.

Es gibt denn auch nur ein wirklich großes journalistisches Porträt über Hoffman, das Lynn Hirschberg vor knapp sechs Jahren für das Magazin der „New York Times“ verfasst hat und aus dem fast alle der ersten Nachrufe zitierten, nachdem am Sonntagabend die Nachricht von Hoffmans Tod in der Welt war. Von Hirschberg ließ sich Hoffman lange begleiten und beobachten, gerade auch in für ihn sehr alltäglichen Situationen als Theatermacher mit dem New Yorker LAB. Da spielte Hoffman nicht nur, da führte er auch Regie und war überhaupt integraler Bestandteil der Company. Theater, so lernte man in Hirschbergs Text, war Hoffmans ursprüngliche Leidenschaft, da fand er die Gemeinschaft, die er als Künstler suchte; da fand sich im Gegensatz zum Film auch ein realer, beständiger, sozialer Raum für seine ihm selbst offenbar fast unerträgliche Liebe zum Spiel.

Schauspielerei war für ihn Quälerei

„Diese tiefe Liebe hat einen Preis“, sagte Hoffman Hirschberg damals. „Für mich ist Schauspielen eine Quälerei, und das ist sie, weil ich weiß, was für eine wunderschöne Sache sie ist. Als ich jung war, erkannte ich ihre Schönheit und wollte sie selbst herstellen. Etwas zu wollen jedoch ist einfach, aber wirklich zu versuchen, großartig zu sein – nun, das ist eine absolute Quälerei.“

Eine, die existenzielle Einsamkeit bedeutet, so zumindest scheint es Hoffman gegangen zu sein. „Manchmal, wenn ich einen großartigen Film oder eine großartige Theaterinszenierung gesehen habe, denke ich: Ein Mensch zu sein, das bedeutet, einsam zu sein.“ Und weiter: „Ich lebe mein Leben so, dass ich nichts wirklich bereue. Deshalb arbeite ich vermutlich auch so viel. Ich möchte nicht das Gefühl bekommen, etwas Wichtiges verpasst zu haben.“

Welch schöner, beängstigender Gedanke. Und weil Philip Seymour Hoffman so gut war, ließ man ihn auch so viel arbeiten, knapp 40 Filme in kaum 20 Jahren, dazu knapp 25 Theaterinszenierungen. Die erste und – wie sich nun herausstellte auch letzte – Rolle, die Hoffman auf einer Bühne spielte, war Willy Loman im „Tod eines Handlungsreisenden“, und beides mal, als 17- wie als 45-Jähriger, war Hoffman doch noch zu jung für den.

Er war alles andere als ein Frühvollendeter

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Und viel zu früh kommt nun auch Hoffmans Tod mit 46. Und er war doch alles andere als ein Frühvollendeter: Man wird noch in vielen, vielen Jahren Filme sehen, in denen eine Lücke klafft, von der man glauben wird, nur Philip Seymour Hoffman habe sie füllen können.

Zu unscheinbar, zu unförmig für die großen Heldenrollen, das war ein dummes Missverständnis derjenigen anfänglich, die noch ein mechanisches Bild davon hatten, wie ein Schauspieler auszusehen hat. Der Gute, der Böse: Hoffmans Spiel transzendierte solche plumpen Gegensätze, seine Statur erst machte ihn auch frei dafür, wirklich alles und jeden zu spielen, und es gibt nicht nur in Hollywood keinen Vergleichbaren, der so wandelbar war, so subtil mit seinen scheinbar unendlichen Möglichkeiten umgehen konnte.

Unter all den Rollen war Truman Capote, für dessen Darstellung in „Capote“ Hoffman dann 2006 seinen Oscar 2006 als bester Hauptdarsteller bekam, ja eigentlich die einschränkendste: Hoffman als Imitationskünstler zu verstehen, der trotz großer physischer Unterschiede so total glaubhaft eine Figur der Zeitgeschichte verkörpern konnte, wäre eine weitere Dummheit. Doch nach „Capote“ redete wenigstens niemand mehr über den Nebendarsteller Hoffman.

Verführung als Großmetapher auf die Kunst

Immenser noch als in diesem Film war er zuletzt in „The Master“ in der Rolle eines Sektengründers, da wurde die Verführung, die Hoffman als Schauspieler doch so sensationell beherrschte, zur Großmetapher auf die Kunst schlechthin. Und wieder verdankte ein Film von Paul Thomas Anderson seine wahre Größe diesem Philip Seymour Hoffman. Was hätte danach noch alles folgen können, folgen müssen.

In einer Szene des Porträts von Lynn Hirschberg beschreibt die Autorin, wie Hoffman im Zuschauerraum des Bank Street Theater in New York sitzt, er führte da im Jahr 2008 Regie bei einer LAB-Produktion. Gerade war eine Probenpause, Philip Seymour Hoffman schaute auf die Schauspieler, die in den Kulissen herumstanden, und er sinnierte wohl über die Flüchtigkeit jedes Spiels im Theater, also über das Tolle und Schreckliche von Theater schlechthin, seine Momenthaftigkeit; ein wesentlicher Grund, warum Hoffman in Filmen spielte, war sicher auch, dieser Momenthaftigkeit des Spiels Herr zu werden, ihm etwas Bleibendes verleihen. „In 80 Jahren“, sagte Philip Seymour Hoffman, „wird niemand mehr am Leben sein, den ich jetzt hier sehe. Hoffentlich wird ihre Kunst bleiben.“

Nun ist Hoffman gegangen, doch seine Kunst wird bleiben, nicht nur hoffentlich.

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